Angermünde (Brandenburg)

Brandenburg Kr Angermünde.pngUckermark Karte Angermünde ist eine Kleinstadt mit derzeit knapp 15.000 Einwohnern im brandenburgischen Landkreis Uckermark – ca. 15 Kilometer westlich von Schwedt/Oder gelegen (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Landkreis Uckermark', aus: ortsdienst.de/brandenburg/uckermark/).

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"Neuangermünde" - Stich von 1710 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

In Angermünde haben sich vermutlich bereits im 14.Jahrhundert Juden angesiedelt, denn aus dieser Zeit datiert auf alten Stadtplänen eine „Judenstraße“. Nach der Vertreibung während der Pestjahre 1348/1349 bestand in Angermünde für über 300 Jahre keine jüdische Ansiedlung mehr. Erst ab den 1680er Jahren sollen hier wieder sehr wenige Familien gelebt haben; 1681 erlangte Caspar Benedix Levi als erster Jude in Angermünde das Bürgerrecht. Im Laufe des 18.Jahrhunderts bildete sich eine kleine jüdische Gemeinde. Um 1815 richtete die Angermünder Judenschaft ihre Synagoge in einem Stallgebäude auf dem Hof eines Grundstücks in der Klosterstraße ein. Da die Gemeinde sich vergrößerte, musste die Synagoge in den 1860er Jahren ausgebaut werden; sie erhielt zudem einen Kuppelaufsatz. Das Vorderhaus wurde vom Kultusbeamten der Gemeinde, der gleichzeitig als Kantor, Schächter und Religionslehrer tätig war, bewohnt. Dort fand auch Religions- u. Hebräischunterricht statt; ansonsten besuchten die jüdischen Kinder die öffentliche Schule am Ort.

Ehe den Juden Angermündes im Jahr 1709 ein eigenes Beerdigungsgelände zugestanden wurde, mussten sie ihre Verstorbenen auf die jüdischen Friedhöfe nach Schwedt und Oderberg bringen. Dieses Zugeständnis war notwendig geworden, da infolge einer ausgebrochenen Pest die Toten nicht mehr in die Nachbarorte transportiert werden durften. Im Jahr 1835 wurde der jüdische Friedhof wesentlich erweitert.

  Puschkinallee4 05 14 02 jiw.jpgLeichenwagenhalle - Friedhof Angermünde (Aufn. U., 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Juden in Angermünde:

         --- 1681 ........................  eine jüdische Familie,

    --- um 1710 .....................   4     “       “    n,

    --- 1743 ........................  10     “       “     ,

    --- 1778 ........................  16     “       “     ,

    --- 1801 ........................  12     "       "     (mit 76 Pers.),

    --- 1831 ........................  22 jüdische Familien,

    --- 1850 ........................ 108 Juden,

    --- 1865 ........................ 135   “  ,

    --- 1910 ........................  63   “  ,

    --- 1925 ........................  62   “  ,

    --- 1933 .................... ca.  50   “  ,*   * andere Angabe: 80 Pers.

    --- 1938 ........................   2 jüdische Familien.

Angaben aus: Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Band I, S. 435 f.

    AngermündeKlosterstraße in Angermünde (hist. Aufn. aus: angermuende.de)

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die jüdische Gemeinde ihren zahlenmäßigen Höchststand, doch infolge von Abwanderungen in größere Städte schrumpfte sie rasch wieder, und gegen Ende der Weimarer Republik lebten nur noch etwa 50 bis 60 jüdische Bewohner in Angermünde. Der Wegzug der jüdischen Bewohner setzte sich in den ersten Jahren der NS-Zeit fort; so soll 1938 nur noch eine einzige Familie in der Kleinstadt gelebt haben.

Während der Pogromnacht wurde die Wohnung dieser Familie demoliert, und die Möbel wurden aus dem Fenster geworfen. Das Synagogengebäude in der Klosterstraße setzten einheimische NSDAP-Angehörige in Brand; es wurde völlig zerstört. Nach 1945 wurde die Synagogenruine dann abgetragen.

Aus „Märkischer Stadt- und Landbote” vom 10.11.1938:

... Auch in Angermünde ertönten in den heutigen Morgenstunden die Feuerhörner. Wie das üblich ist, hatte es sich schnell herumgesprochen, wo das Feuer war. So eilten denn neben den Männern der Feuerlöschpolizei auch viele Schaulustige zu der Brandstelle in der Klosterstraße. Dort stand bereits auf einem Hinterhof die jüdische Synagoge in hellen Flammen. Das Feuer war schon so weit fortgeschritten, daß es unmöglich war, es noch mit Aussicht auf Erfolg zu bekämpfen. Die Feuerwehr mußte sich daher darauf beschränken, die Nachbargebäude vor dem starken Funkenflug zu schützen. ...

Auch der jüdische Friedhof wurde kurz danach verwüstet: Grabsteine wurden umgeworfen und anschließend als Wegebefestigung missbraucht. Ende der 1990er Jahre begann man, den Friedhof wieder herzurichten; heute ist das Gelände ein Grünanlage ohne Grabsteine. Im Frühjahr 1939 wurde die Synagogengemeinde offiziell aufgelöst; drei Jahre später galt die Stadt als „judenrein“, nachdem die beiden in Angermünde lebenden jüdischen Familien - über Berlin – ins Warschauer Ghetto deportiert worden waren. Ein Eintrag im Tätigkeitsbuch der Ortspolizeibehörde vom 13. April 1942 vermeldete: „Evakuierung der Juden. Auf Anordnung der Staatspolizeistelle Potsdam wurden am heutigen Tage die Juden Eheleute Freundlich und die Familie Gerson zwecks Evakuierung um 12.13 Uhr durch den Meister der Inspection Heinemann mittels Eisenbahn der Sammelstelle Berlin zugeführt. Die Wohnungen wurden versiegelt und die Schlüssel verwahrt.

Die „Endlösung“ kostete 43 Angehörigen der jüdischen Gemeinde von Angermünde das Leben.

                      1943/1944 soll es in der Stadt ein Zwangsarbeiterlager für polnische Juden gegeben haben, die beim Autobahnbau eingesetzt wurden.

http://www.einsteingym.de/wp-content/uploads/2010/04/Synagoge4.jpg Zwei Informationstafeln weisen in Angermünde auf den ehemaligen Standort der Synagoge in der Klosterstraße 10 und des jüdischen Friedhofs an der Puschkin-Allee hin. Nach Jahrzehnten des Vergessens und der Verwahrlosung der Begräbnisstätte soll nun zeitnah eine Restaurierung erfolgen (Stand 2022).

2012 wurden die ersten sechs sog. „Stolpersteine“ in der Jägerstraße verlegt; sie erinnern an Angehörige der Familie Gerson, die hier früher ein Geschäft für Gemischtwaren und Rohprodukte betrieben hatte. Zwei Jahre folgten weitere fünf Steine, gewidmet der Familie Freundlich, die bis zu ihrer Deportation (1942) in der Schwedter Straße wohnte.

Stolperstein-Leo-Freundlich-Angermünde.jpg Stolperstein-Ella-Freundlich-Angermünde.jpg Stolperstein-Renate-Freundlich-Angermünde.jpg Stolperstein-Eva-Freundlich-Angermünde.jpg Stolperstein-Siegesmund-Freundlich-Angermünde.jpg

fünf "Stolpersteine" für Fam. Freundlich, Schwedter Str. (Aufn. Axel Mauruszat, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

Im Ortsteil Greiffenberg - Günterberg gab es bis ins beginnende 20.Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinde, die um 1850 knapp 50, um 1910 nur noch zehn Angehörige zählte. Verstorbene wurden bis 1809 auf dem Friedhof in Angermünde beigesetzt; die Restgemeinde legte danach ein kleines Begräbnisareal nahe des Dorfes an, da das bislang genutzte Areal in Angermünde inzwischen an seine Belegungsgrenze kam. Auf dem neu geschaffenen Begräbnisgelände in Greiffenberg wurden vermutlich nicht mehr als zehn bis 15  Beisetzungen vorgenommen, da die Zahl der hier lebenden jüdischen Einwohner inzwischen stark zurück gegangen war.

Seit den 1960er Jahren erinnert auf dem nur wenige Grabsteine beherbergenden Friedhofsgelände ein Gedenkstein an Greiffenbergs ehemalige jüdische Gemeinde. Unter einem Davidstern sind in hebräischer und deutscher Sprache die folgenden Worte verzeichnet:

Und der Ewige sprach zu Abraham:

Ich werde segnen, die dich segnen und verfluchen, die dich verfluchen

und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

Zur Erinnerung an die israelitische Gemeinde Greiffenberg auf ihrem Friedhof im Gedenken an die jüdischen Opfer unter dem Faschismus.

1964 von Juden und Christen errichtet.

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 Geschändeter Friedhof (Aufn. Oliver Schwers, 2008) und  Grab/Gedenksteine (Aufn. U., 2014, aus: wikipedia.org, CC-B-SA 4.0)

 

 

Weitere Informationen:

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band I, S. 435 f.

Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 77

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 229/230 und S. 388/389

Dietrich Kukla, Jüdisches Leben in Angermünde, in: "Heimatkalender Angermünde 1997"

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation II, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 236/237

Wolfgang Weißleder, Der Gute Ort - Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg, hrg. vom Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V., Potsdam 2002, S. 43

Angermünde 1938. Judenverfolgung, abrufbar unter: angermuende.de

Daniela Windolff (Red.), Stolpersteine rütteln wach, in: „MOZ - Märkische Oderzeitung“ vom 6.1.2012

Oliver Schwers (Red.), Das Ende jüdischen Lebens, in: „MOZ – Märkische Oderzeitung“ vom 5.11.2013

Lutz Libert/Margret Sperling, Shalom. Die Geschichte der jüdischen Bürger in Angermünde. 1681 - 1942, Angermünde 2013 (Broschüre)

Daniela Windolff (Red.), Ein Pflasterstein für Eva, in: „MOZ - Märkische Oderzeitung“ vom 11.10.2014

Auflistung der Stolpersteine in Angermünde, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Angermünde

Benjamin Hauche, Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Angermünde, online abrufbar unter; uni-potsdam.de/de/juedische-friedhoefe/friedhof-angermuende/geschichte-der-gemeinde

Benjamin Hauche, Jüdischer Friedhof in Angermünde, online abrufbar unter: uni-potsdam.de/de/juedische-friedhoefe/friedhof-angermuende

Daniela Windolff (Red.), Stolpersteine als Erinnerung für ermordete Juden in Angermünde, in: „MOZ – Märkische Oderzeitung“ vom 17.4.2021

Daniela Windolff (Red.), Von Müllhalde zum Gedenkort – Jüdischer Friedhof Angermünde wird restauriert, in: „MOZ – Märkische Oderzeitung“ vom 30.9.2021

Daniela Windolff (Red.), Das Drama um den jüdischen Friedhof in Angermünde, in: „MOZ – Märkische Oderzeitung“ vom 28.1.2022